Der Einfluss des Postmodernismus

Die Postmoderne, eine philosophische Gegenbewegung gegen die Moderne, verwischt Grenzen, betont die Macht der Sprache und propagiert den Kulturrelativismus. Sie leugnet das Individuelle und das Universelle, was den Aufstieg von Wokeismus und Cancel-Culture fördert. In dieser Bewegung spielen kritische Theorien wie Postcolonial Theory und Critical Race Theory eine wichtige Rolle.

Die Postmoderne war eine philosophische Gegenbewegung gegen die Elemente der Moderne, wie wir sie bereits im Beitrag: Die Moderne vorgestellt haben. Sie entstand in den 1960er Jahren in Frankreich im universitären Umfeld. Die wichtigsten Namen der Begründer sind Michel Foucault, Jacques Derrida und Jean-Francois Lyotard. Der Postmodernismus ist ein nur schwer zu definierendes philosophisches System, aber es ist wichtig zu wissen, dass es besonders unter linksradikalen Intellektuellen der Versuch war, die Moderne und ihre Werte, besonders aber den Rationalismus mit seiner Betonung des Denkens und der Vernunft hinter sich zu lassen. Deshalb eben post-, also: nach-modern.

Auch wenn man den Postmodernismus schwer fassen kann, lassen sich doch ein paar Merkmale ausmachen. Eines der wichtigsten darunter ist die Ablehnung großer Narrative. Was heißt das? Narrative sind Erzählungen und große Narrative meinen die großen Erzählungen, welche die Kulturen der Menschheitsgeschichte geprägt haben. Das Christentum bzw. das christliche Abendland wäre so ein Narrativ. Für die postmodernen Theoretiker haben solche, den Menschen formende, Geschichten nur die Bedeutung der Herrschaftsausübung und Unterdrückung, welche er ablehnt. Mehr dazu gleich. Außer den großen Narrativen wird vor allem der die Aufklärung und Moderne bestimmende Universalismus abgelehnt. Es gibt also keine für alle Menschen gültigen Merkmale oder Grundthemen ihrer Existenz mehr. Da auch Wissenschaft für einen Postmodernisten bloß ein großes Narrativ ist, hat auch diese keine allgemeine, nämlich universelle Gültigkeit mehr. Und weil man schon dabei ist, lehnt man auch gleich die Idee der Möglichkeit eines Fortschritts in der Menschheitsentwicklung rundweg ab.

Neben den beiden Grundmustern von eben hat die Postmoderne noch einige besondere Methoden und Techniken in ihrer Philosophie auf Lager. So verwendet sie grundsätzlich einen radikalen Skeptizismus – einfach alles wird infrage gestellt. Gleichzeitig ist sie aber auch relativistisch in ihrem Zugang: Was für einen Menschen gelten mag, gilt deshalb noch lange nicht für einen anderen oder gar alle Menschen. Es gibt daher auch keine Werte, die für alle Menschen gelten könnten, alles ist abhängig von der jeweiligen Kultur. Womit wir auch beim Kulturrelativismus wären.

Das hervorstechendste Merkmal der postmodernen Methoden ist aber die geradezu zwanghafte Beschäftigung mit Sprache. Während die meisten von uns glauben mögen, dass Wörter nur dazu da sind, Sachverhalte zu benennen oder Begriffe, um etwas begreifen zu können, geht der postmoderne Denker davon aus, dass es jenseits der Sprache gar keine Realität gibt. Wörter verweisen für ihn nur auf weitere Wörter, niemals auf eine Wirklichkeit hinter den Wörtern. Aus diesem Grund ist dem Postmodernisten auch der Diskurs und als Methode die Diskursanalyse heilig, welchen er dekonstruieren möchte. Der Diskurs, also die unter Menschen stattfindende sprachliche Erschaffung der Wirklichkeit ist beispielsweise für Michel Foucault immer ein Macht-Diskurs: also diejenige Erzählung, die ein Machthaber oder eine einflussreiche Gruppe von Menschen dem Rest der Gesellschaft von oben herab aufdrückt. Der Machtdiskurs bestimmt, wie etwas zu deuten ist, und wer die Begriffe definieren darf, der kann andere damit unterdrücken. Da somit alle Realität nur durch die Art und Weise wie über sie geredet wird, überhaupt erst erschaffen wird, ist der Postmodernismus sozialkonstruktivistisch: Die Wirklichkeit entsteht für ihn ausschließlich in der sozialen Kommunikation über die Phänomene. Während die Moderne sagen würde, dass es eine Realität gibt, über die wir reden, und an die wir uns im Gespräch, im Diskurs annähern, sagt die Postmoderne: Irrtum, die Realität gibt es nicht, nur unser Gespräch darüber.

Insgesamt kann man zwei Prinzipien und vier Hauptthemen der Postmoderne festmachen. Das Postmoderne Wissensprinzip und das Postmoderne politische Prinzip. Außerdem die vier Hauptthemen:

Erstens: Grenzen verwischen.

Zweitens: Die Macht der Sprache.

Drittens: Kulturrelativismus.

Viertens: Der Verlust des Individuellen und des Universellen.

Das postmoderne Wissensprinzip: Da unsere menschlichen Fähigkeiten zur Erkenntnis als begrenzt betrachtet werden, geht der postmoderne Intellektuelle davon aus, dass es gar keine objektive Erkenntnis der Realität geben kann, vor allem auch nicht durch Annäherung an diese im Gespräch oder Meinungsaustausch. Da alle Erkenntnis sprachlich vermittelt wird, ist alle Erkenntnis lediglich Sprache, nämlich der Machtdiskurs. Der Hauptsatz, den wir uns merken sollten geht daraus hervor: Es gibt keine Realität jenseits der Sprache!

Die Realität erzeugen wir ausschließlich durch die sprachliche Vermittlung unserer kulturellen Normen. Weniger verschwurbelt ausgedrückt: Wir erzählen uns gegenseitig und unseren Kindern sozusagen Geschichten, und aus diesen Geschichten wird dann unsere gesellschaftliche Realität. Und diese Geschichten haben keinen eigenen Wert oder Sinn, vermitteln keine Wahrheit oder Weisheit, sondern sind für die Postmoderne einfach beliebig. Man kann auch einfach andere erzählen. Es gibt keine Wahrheit. Die Folge daraus ist der von ihr gepredigte moralische und kulturelle Relativismus, der vor allem in der Woke-Bewegung angewendet wird. Was für die eine Kultur moralisch ist, ist für die andere unmoralisch und alle haben quasi Recht. Wer seine Geschichte durchsetzen darf, hat Macht über die anderen. Das ist der Foucaultsche Machtdiskurs.

Selbst die Wissenschaft, mit ihren Experimenten und Beweisführungen ist nur eine Über-Geschichte, ein Meta-Narrativ, das auch immer anders erzählt werden könnte.

Mit dem postmodernen Wissensprinzip verknüpft sich das postmoderne politische Prinzip. Da es keine Wahrheit gibt, sondern nur die Erzählungen, zeigt jeder Diskurs auf wer die Macht hat und die Hierarchie mittels des Machtdiskurses auch aufrechterhält. Es gibt also beispielsweise für Foucault kein Wissen ohne Machtausübung, weshalb er immer von Wissen-Macht spricht. Außerdem bestehen Hierarchien immer nur aus zwei Seiten für den Postmodernisten: Unterdrücker und Unterdrückte. Die Macht entscheidet dabei unterdrückerisch, was wahr ist, aber auch, was moralisch gut ist. Gleichzeitig ist die Machtposition aber immer schlecht, weil sie eben Unterdrückerin ist. Das ist ähnlich wie beim Marxismus, aber mit dem Unterschied, dass der Machtdiskurs nicht von oben durchgesetzt wird, sondern unbewusst alle Ebenen durchdringt.

Die Postmoderne Theorie enthält immer die linksradikale Idee, dass alle Formen von Machtstrukturen oder Hierarchien die Menschlichkeit einengen und daher zerstört werden müssen. Der postmoderne ethische Imperativ dabei: das Dekonstruieren, Angreifen, Problematisieren und Widerstand-Leisten gegen jedwedes Denken, welches Machthierarchien stützt, darunter auch ihre Kategorien und Sprache als solche. Die Postmodernen Vertreter wie Foucault oder Derrida waren daher nicht nur beschreibend und analysierend tätig, sondern revolutionär-umstürzlerisch. Ein großes Problem dabei ist, dass die Postmoderne sich durch ihre Methodik von vornherein gegenüber jeglicher Kritik an ihr selbst immunisiert hat. Es ist kein Raum mehr vorhanden, für Irrtum, weshalb die Postmoderne auch in den nachfolgenden Generationen, besonders in ihrer aktuellen Vulgärform zum Fanatismus neigt. Auch kann man sich fragen, worin der Sinn für eine Debatte oder einen Diskurs überhaupt liegt, wenn es ohnehin nur darum geht seinen eigenen Diskurs durchzusetzen, um den des Gegners zu unterdrücken. Wir kennen das auch bei uns heute in Deutschland, wenn Akteure äußern, man dürfe diesem oder jener keine Plattform bieten für ihre Meinungen. Das ist angewandter Postmodernismus. Cancel-Culture und viele andere, gut getarnte Elemente gehören dazu.

Das erste der vier Hauptthemen des Postmodernismus ist das Verwischen von Grenzen: Da die Postmoderne ihren radikalen Skeptizismus pflegt und an den Sozialkonstruktivismus glaubt, folgt daraus ein Misstrauen gegen alle Begriffe und vor allem Kategorien. Verwischt werden dabei gezielt die Grenzen von objektiv und subjektiv; von Glauben und Wahrheit; von Kunst und Wissenschaft; zwischen dem Natürlichen und dem Künstlichen; zwischen Hochkultur und Popkultur. Geschenkt, dass damit die Orientierung in der Welt für den Einzelnen auch immer schwieriger wird, wenn er zuvor alle Pflöcke herausgezogen hat.

Das nächste Hauptthema ist mal wieder die Macht der Sprache. Dass diese dem Postmodernisten heilig ist, sollte mittlerweile bekannt sein. Die postmodernen Philosophen verwenden deshalb hauptsächlich Sprachspiele in ihrem Denken. Jacques Derrida nennt dies Dekonstruktion, der Begriff selbst ein Sprachspiel, das sich aus Destruktion und Konstruktion zusammensetzt. Während hermeneutische Textinterpretationen davon ausgehen, dass Texte eine Botschaft enthalten, die man verstehen kann, lehnt dies die Dekonstruktion ab. Sie sucht im Text nach Gegensätzen, die meist in Hierarchien münden. Es gibt sozusagen Unterdrücker- und Unterdrücktenbegriffe. Diese Hierarchien müssen wieder in weiteren Begriffen aufgelöst werden.

Derrida ist bekannt für sein Konzept des Todes des Autors. Das, was jemand ausdrücken will, zählt nicht mehr, als das, was beim Hörer ankommt! Damit kann man auch nicht mehr sagen: ich habe das nicht so gemeint – für Derrida ist das egal. Diese Haltung begegnet uns auch wieder im Wokeismus, wenn Menschen dafür gecancelt werden, dass sie etwas gesagt haben, unabhängig davon, ob sie es so gemeint haben. Ein bisschen so wie in Monty Python’s Leben des Brian: „Er hat Jehova gesagt!“

Kultureller Relativismus ist das dritte Hauptthema der Postmoderne. Auch dieses Thema leitet sich wieder aus der Überwertigkeit der Sprache ab: Da, für den postmodernen Theoretiker Wahrheit und Wissen nicht existieren und nur sprachlich konstruiert werden, folgt daraus, dass jede Kultur ihre eigenen Werte und Normen frei festlegen kann. Dadurch gibt es beispielsweise nichts, was grundsätzlich als unmenschlich zu verurteilen wäre. Jede Kultur hat gleichermaßen Recht. Kein Set an kulturellen Normen ist irgendeinem anderen überlegen. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte? Kann damit eigentlich nicht mehr bindend sein, für die Postmodernen. Kulturen können einander nicht kritisieren, aber auch nicht einmal verstehen. Im Endeffekt ist der gesellschaftliche Status des Sprechers entscheidend. Und da die Welt in Unterdrücker und Unterdrückte eingeteilt wird, ahnt man es schon: Nur Opfer können Kritik üben. Heute spielt sich dieses Thema vor allem in den permanenten Angriffen auf die Person des Sprechers aus. Auf Argumente muss nämlich nicht eingegangen werden.

Das vierte und letzte Hauptthema der Postmoderne ist zugleich das bedeutendste: Der Verlust des Individuellen und des Universellen. Während die Moderne den einzelnen Menschen in den Mittelpunkt stellt, ist für die Postmoderne das Individuum nur eine Erzählung, ein Meta-Narrativ. Und die werden ja bekanntlich abgelehnt. Denn für die Postmodernen ist das Individuum nur ein Produkt von Macht-Diskursen und sozial konstruiertem Wissen. Es gibt kein beseeltes Wesen namens Mensch. Im Ergebnis ist das nur eine wortgewandte Umschreibung für Kollektiv: Wenn es kein Individuum gibt, und es nur sozial konstruiert ist, dann ist aus dem Individuum nämlich ein Kollektiv-Wesen geworden. Wer Marxismus darin sieht, kann nicht ganz falsch liegen.

Mit dem Verlust des Individuellen geht auch der Verlust des Universellen einher. Es gibt nichts allgemeinmenschliches mehr für die Postmoderne, keine menschliche Verfasstheit, keine für jeden gültigen Eigenschaften und vor allem: keine jedem aufgrund seines Mensch-Seins zuzubilligenden Rechte oder Freiheiten.

Die postmoderne Philosophie bildet den heimlichen Nährboden für die heutige Bewegung des Wokeismus, von politischer Korrektheit und Cancel-Culture.Heute sind es insbesondere die sogenannten „kritischen Theorien“, wie Postcolonial Theory, Critical Race Theory, Intersectionality, Feminismus der Vierten Welle usw., die sich erheblich auf den Postmodernismus stützen, oft in vulgarisierter Form.

Diese Phänomene und Ideologiebildungen schauen wir uns in späteren Beiträgen genauer an.

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