Moderne
Die Moderne. Wo wir im Westen herkommen Wenn die Fragen unserer Zeit zur Sprache kommen, sieht es meist pessimistisch aus: Abgesehen von der Corona-Krise, Klimakrise, Wirtschaftskrise, Krise des Kapitalismus. Die westliche Gesellschaft und ihre kulturellen Wurzeln stehen dann unter Feuer: kolonialistisch seien die westlichen Länder, rassistisch geprägt, egoistisch, ja egomanisch und unsozial. Schuld sind dann […]

Die Moderne. Wo wir im Westen herkommen
Wenn die Fragen unserer Zeit zur Sprache kommen, sieht es meist pessimistisch aus: Abgesehen von der Corona-Krise, Klimakrise, Wirtschaftskrise, Krise des Kapitalismus. Die westliche Gesellschaft und ihre kulturellen Wurzeln stehen dann unter Feuer: kolonialistisch seien die westlichen Länder, rassistisch geprägt, egoistisch, ja egomanisch und unsozial. Schuld sind dann im Endeffekt der Kapitalismus und der überbordende Individualismus, der unsere Gesellschaften, wenn nicht gleich die ganze Welt klimatisch an die Wand fahre.
Aber ist unsere westliche Wertekultur wirklich schuld an jeder Misere? Wo kommen wir kulturell und geistesgeschichtlich in Europa eigentlich her, welche Strömungen haben die westliche Welt maßgeblich geprägt?
Liberalismus und Aufklärung als prägende Elemente der Moderne
Vereinfacht könnte man sagen, unsere derzeitigen westlichen Gesellschaften sind in der Epoche der Moderne in den letzten rund 200 Jahren entstanden. Nicht zuletzt der Blutzoll zweier Weltkriege hat uns und unsere freiheitlichen Errungenschaften erheblich geprägt. Der Untertan entwickelte sich auf breiter Basis zum mündigen Bürger.
Wie ging das vonstatten? In den westlichen Nationen entstand sich im Laufe dieser Zeit ein breiter Konsens zugunsten der politischen Philosophie des Liberalismus. Dieser basierte zentral auf der Philosophie der Aufklärung, welche mit ihrem zentralen Begriff der Vernunft ihren Einfluss geltend machte. Die Aufklärung biete dem Menschen den Ausweg aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit, schrieb der Philosoph Immanuel Kant Ende des 18. Jahrhunderts. Es war der Kant, der besonders für sein Moralprinzip des sog. Kategorischen Imperativs gerühmt wird, und der, kurz gefasst, besagt, dass man versuchen soll, sein eigenes moralisches Handeln als Prinzip allgemeiner Gesetzgebung aufzufassen: Was, wenn das alle so tun würden, kann man sich fragen und danach bewerten, wie moralisch die eigene Position eigentlich in Wahrheit ist. Die Aufklärung stellte die Entwicklung der eigenen Denkfähigkeit, der Fähigkeit zur Vernunft in den Mittelpunkt. Sapere Aude! Wage zu wissen, zitierte Kant den römischen Dichter Horaz.
Die Aufklärung stellte den individuellen Menschen in den Mittelpunkt sowie seine Fähigkeit für sich selbst, und nicht einfach durch staatliche Herrscher oder kirchliche Autoritäten vermittelt, zu eigenen Erkenntnissen zu gelangen. Diese Ideen mündeten neben der Wertschätzung für die Freiheit des Geistes auch in die Betonung religiöser Toleranz. Nicht zuletzt gilt die Philosophie der Aufklärung als Wegbereiterin der Französischen Revolution und der Demokratie in Europa.
Man kann sich unschwer vorstellen, dass die Grundannahmen dieser Philosophie im Liberalismus ihren Niederschlag fanden. Die Philosophie des Liberalismus betonte als politisches Prinzip zuoberst die Sicherung der Grundrechte und Freiheiten des Einzelnen sowie die Errichtung des Rechtstaates als Herrschaft des Rechts. Aus dem Untertanen der König- und Kaisertümer wurde so der mündige Staatsbürger.
Als Wirtschaftsliberalismus forderte er das freie Erwerbsstreben auf freien Märkten und den Freihandel. Steuernde Eingriffe von außen lehnte er prinzipiell ab.
Auf dem Gebiet der Religion bestand der Liberalismus wie schon die Aufklärung vor ihm auf Religionsfreiheit und Toleranz. Auch für die Trennung von Kirche und Staat setzte er sich ein, während es vorher Zeiten gab, in denen man als Untertan immer die Religion des jeweiligen Herrschers annehmen musste: cuius regio eius religio hieß das auf Latein.
Individualismus und Universalismus
Welches Erbe des politischen Liberalismus können wir heute in unseren westlichen Gesellschaften also erkennen?
Die beiden Hauptwurzeln, aus denen unsere Gesellschaften sozusagen ihr belebendes Wasser beziehen sind der Individualismus und der Universalismus. Der einzelne Mensch soll im Mittelpunkt stehen, in seiner ihm eigenen Einzigartigkeit. So konnte Captain Kirk zu Spock im alten Star-Trek-III-Film sagen: Wir haben Dich gerettet, denn „das Wohl des Einzelnen, es wiegt schwerer als das Wohl von Vielen.“
Das ist eine Haltung des Individualismus.
Zugleich hat der Einzelne aber auch Anteil an allgemeinmenschlichen Eigenschaften und Prinzipien, also an Merkmalen, die für alle Menschen gleichermaßen gelten. Das ist der Universalismus. Diese beiden Prinzipien begründen unsere Freiheiten. Der Einzelne besitzt im Westen Freiheitsrechte, von denen die wichtigsten die sogenannten Abwehrrechte gegenüber dem Staat sind. Dazu zählen beispielsweise das Recht auf Leben, Handlungsfreiheit, Freizügigkeit, die Unverletzlichkeit der Wohnung, Religionsfreiheit, Meinungsfreiheit und die Eigentumsfreiheit. Der universalistische Teil liefert die Begründung dafür, dass jedes Individuum seine Freiheitsrechte bekommt, da jeder Einzelne Anteil am universellen Mensch-Sein hat, und deshalb für jeden ungeachtet seiner kollektiven Gruppenzugehörigkeiten diese Rechte zu gelten haben. Außerdem begründet der Universalismus hierbei die grundsätzliche Gleichwertigkeit der Menschen, nicht aber zwingend die absolute kollektive Gleichheit. Chancengleichheit also, nicht Gleichheit des Ergebnisses, das ein sozialistisches Konstrukt ist.
Begrenzung der Macht
Wissenschaft
Die für den Westen gerade aktuell und zumindest Lippenbekenntnissen nach so bedeutsame Wissenschaft gründet sich ebenfalls auf der Philosophie der Aufklärung sowie des Liberalismus, mit den sie heute maßgeblich bestimmenden erkenntistheoretischen Annahmen des kritischen Rationalismus und des logischen Empirismus, die kurz gesagt, verlangen, dass wissenschaftliche Hypothesen logisch schlüssig, überprüfbar sein und auf Beweisen basieren müssen. Die moderne Wissenschaft geht also im Sinne der Aufklärung davon aus, dass da draußen eine Wahrheit existiert, zu deren Erkenntnis der Mensch aufgrund seiner begrenzten Erkenntnisfähigkeit aber nur teilweise oder näherungsweise Zugang bekommen kann. Die Wissenschaft unternimmt dabei immer wieder von Neuem den Versuch, die Welt empirisch zu erkennen und ist sich dabei idealerweise gleichzeitig der Unvollständigkeit des einzelnen Standpunktes bewusst. In der Praxis bedeutet das, dass wissenschaftliche Wahrheiten tendenziell vorläufige sind, solange bis neue Erkenntnisse die alten überholt haben. Deshalb gilt, zumindest dem Anspruch nach, alleine diejenige Theorie als vorläufig wahr, welche plausible Erklärungen von Phänomenen sowie Prognosen erlaubt und der empirischen Überprüfung standhält – und nicht die Meinungsmehrheit der Wissenschaftler beim wissenschaftlichen Fortschritt. Dazu dient das Peer-Review-Verfahren bei der Veröffentlichung wissenschaftlicher Arbeiten, bei dem andere Fachleute die Qualität der vorgelegten Arbeit zuerst beurteilen und auch Nachbesserungen verlangen können. Erst dann kann die Arbeit in renommierten wissenschaftlichen Fachzeitschriften
erscheinen.
Fazit
Wir sollten uns angesichts der vielfältigen Krisen unseres liberalen Erbes besinnen und frei bleiben.